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Monday, 7. August 2006
Die Welt ist nicht perfekt. Wie sollte dann ein Text perfekt sein? — Am 16. August 2006 spricht Prof. Gerd Fleischmann in der Kunsthalle Bielefeld zum Thema »Typografie. lernen vom bauhaus?«. Sein Manuskript mit sehr spannenden Ausführungen und Vergleichen stellt er zur Einsicht zur Verfügung. — Hier einige Auszüge: Progressive und innovative Schulen wurden nie besonders alt!
dieter
07:43h
Das Faszinierende war für mich immer, dass keiner, der sich mit Schrift und Typografie am Bauhaus beschäftigte, das je ordentlich gelernt hatte. Alle waren Dilettanten im besten Sinne des Wortes, Liebhaber. So war es für die Bauhäusler auch nichts Besonderes, sich über die handwerklichen Traditionen und die ›Regeln der Kunst‹ hinweg zu setzen. Auch wenn sie für die Realisierung ihrer Entwürfe immer wieder gelernte Setzer brauchten, konnten sie neue Formen und eine neue Bildsprache für Drucksachen entwickeln, wie es später nur noch Wolfgang Weingart, der allerdings eine solide schweizer Ausbildung hatte, mit Blei und Gips gemacht hat. Stellen Sie sich vor, Moholy-Nagy hätte einen Macintosh gehabt! David Carson hat vorgeführt, was das bedeutet, welche Freiheit und welcher neue Umgang mit Sprache möglich ist. Moholy-Nagy »Die Arbeit des Druckers ist ein Teil des Fundamentes, auf dem die neue Welt aufgerichtet wird.« Das konzentrierte Werk der Organisation ist geisterfüllte Konsequenz, die alle Elemente menschlichen Schaffens in eine Synthese bringt: Spieltrieb, Anteilnahme, Erfindungen, wirtschaftliche Notwendigkeiten. Der eine erfindet das Drucken mit beweglichen Lettern, der andere die Fotografie, ein Dritter Rasterverfahren und Klischee, ein Nächster die Galvanoplastik, den Lichtdruck, das mit Licht gehärtete Zelluloidklischee. Die Menschen schlagen einander noch tot, sie haben noch nicht erfaßt, wie sie leben, warum sie leben; Politiker merken nicht, daß die Erde eine Einheit ist, aber man erfindet das Telehor: den Fernseher – man kann morgen in das Herz des Nächsten schauen, überall sein und doch allein sein; man druckt illustrierte Bücher, Zeitungen, Magazine – in Millionen. Die Eindeutigkeit des Wirklichen, Wahren in der Alltagssituation ist für alle Schichten da. Langsam sickert die Hygiene des Optischen, das Gesunde des Gesehenen durch. Zuallererst muss der Gestalter (damit ist natürlich immer auch die Gestalterin gemeint) etwas über den Inhalt und die ›Politik‹ des Auftraggebers wissen: Im Fall des Beispiels, das hier diskutiert werden soll, sind die Stichworte Max Bill. Architektur, Kunst, Design – Bauhaus, Moderne, Schweiz, Institut für Kulturaustausch (IKA-Gesellschaft für internationalen Kulturaustausch GmbH, Tübingen), Kunstmuseum Stuttgart und Hatje Cantz als Druckerei und Verlag. Dann muss er sich über die Struktur des Inhalts klar werden. Aber er muss auch eine Beziehung zu dem Job haben, sich ein Bild davon machen – alles auf dem Hintergrund der Vorstellungen des Auftraggebers, der Termine, des Budgets und konkurrierender Produkte. Das kann im Kopf geschehen, als kleine Thumbnails auf einer Serviette abends im Restaurant oder systematisch in Skizzen. Typografie (und dazu gehört die Buchgestaltung als Ganzes) muss verbal gegebene Inhalte in unverwechselbare Bilder setzen. Denn bevor wir anfangen zu lesen, nehmen wir einen Text als Ganzes wahr, als Bild. Die Auswahl einer Schrift ist immer bestimmt von dem Klang, den der Inhalt hat, und vom Kontext, von der Zeit, in der etwas erscheint und damit vom Markt. FF Meta Plus wäre sicher besser lesbar, aber so anonym wie Helvetica. Sie avancierte zur erfolgreichsten und bekanntesten neuen Schrift weltweit und wird, ähnlich wie die Helvetica, für alles eingesetzt: Von einer Stellenanzeige des Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung über das Logo von artnet bis zur Gebäudetypografie des Sächsischen Landtags. Akzidenz-Grotesk könnte historisch begründet werden als Hausschrift der Schweizer Grafik. Bill hat für Akzidenzen verschiedene Monotype Schriften eingesetzt, wie sie damals in den Setzereien vorhanden waren. Das allein aber wäre kein Grund. Entscheidend ist: Wie sieht der Titel aus, wie sehen die vier Buchstaben b i l l und das Komma , in der Schrift aus. Texte sind der Rohstoff. — Von der Rechtschreibung bis zum richtigen Tonfall und richtigen Auszeichnungen hat alles Bedeutung. Der Typograf sollte sich an dem scharfen Blick von Brigitte Grunert messen, die jede Woche in ihrer Kolumne ›Auf Deutsch gesagt‹ in der Sonntagsausgabe des Tagespiegel 26 die Sprache der Politiker aufs Korn nimmt. Etwa die Missachtung von Singularetantum und Pluraletantum. Es gibt keine »Handlungsbedarfe«, sondern nur einen Handlungsbedarf. Genauso wenig gibt es ein »Elter« für ein Elternteil. Aber das gilt nicht nur für die Sprache der Politiker. Auch im Ganzen ist eine Tageszeitung wie der Tagesspiegel eine gute Schulung – auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder BILD, wenn man Abstand halten kann. Das Blatt mit den großen Buchstaben macht jeden Tag vor, was Typografie leisten kann. Geht man davon aus, dass Typografie den jeweiligen Interessen dienen und Wirkung zeigen soll, ist BILD hervorragende Typografie. Denn Typografie ist kein Selbstzweck. Satztechnik ist das Handwerk. — Die Bauhäusler konnten sich auf die Setzer verlassen. Heute gibt es diese Kompetenz nicht mehr. Der Gestalter muss (müsste) alles beherrschen. Das ist nicht endlich. Ich musste bei einem Projekt vor ein paar Wochen lernen, dass ich Jahre lang Auslassungen im Englischen falsch gesetzt habe. Aber keiner der Autoren und Auftraggeber hat es je kritisiert, bis ich auf die New Yorker Filmkünstlerin Jenny Perlin traf. Sie hat mir kategorisch das verstaubte Chicago Manual of Style vor die Nase gehalten einschließlich Korrekturzeichen, worauf ich mit Robert Bringhurst: The Elements of Typographic Style, version 2.5, geantwortet habe. Hermann Zapf hat über dieses Buch gesagt: »I wish to see this book become the Typographers’ Bible.« Typografie ist mehr als Text, den man lesen kann. —Typografie ist die Kunst, Sprache in eine dauerhafte visuelle Form zu bringen mit allem, was zum Sprechen gehört: Rhythmus, Ton, Lautstärke, Duktus, Klangfarbe – bis hin zur Körpersprache. Alles das lässt sich mit typografischen Mitteln darstellen. Das gilt für ruhende und bewegte Sichtfelder, Print und Screen. So wie Architektur mehr als ein Dach über dem Kopf ist. Typografie und Architektur schaffen begreifbare, sinnliche Formen. Sie helfen, Komplexität zu reduzieren und die Welt genießbar zu machen. »Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten.«
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