Oliviero Toscani im Gespräch über sein fulminantes öffentliches Comeback. — Ein Interview mit der photographischen »Eminenz« zum Thema Kreativität, Vernetzwerkung und der einfach größeren Portion Mut.

DT:
Tee oder Kaffee?

OT: Grüntee nach Sizilianischer Tradition.
DT:
Das Informationsloch nach Deinem Ausstand bei Benetton im 2000 ist noch nirgends wirklich von Deiner Seite beleuchtet. Wie würdest Du die Sache nacherzählen, oder ist so was zu privat? — Was waren die inhaltlichen Differenzen?

OT: Immer noch die? — Zu viel Zeit ist vergangen dazwischen! An und für sich wollte ich Benetton schon lange vor 2000 verlassen, aber das ging nicht so einfach. Benetton interessierte sich vorwiegend für deren Umsatz, Geld und Budgets. Die haben viel durch mich gewonnen, ja, sie sind reich geworden. Sie hatten kein großes Interesse an sozialen und humanistisch ausgerichteten Themen. Daher war ich erleichtert die zwar fruchtbare, aber auch zu großen Stücken auf meinen Kosten lastende Zusammenarbeit zu beenden. Das mittlere Management hatte hierbei sein übriges dazu getan.
DT:
Große Namen zieren Deine öffentliche Meinung. — Was sagt der Mensch zum Wissenschafter in Dir, wenn Du auf der Bühne vom Licht geblendet wirst?

OT: Kreativität ist ein in der konkreten Realität auszuhaltender Zustand von Unsicherheit. Ja, Kreativität bedingt die maximale Form an Unsicherheit mit einem Maximum an möglicher Kreativität in Ausklang zu bringen. Das ist unerhört kräfteraubend und bedeutet den Mut hierfür aufbringen zu wollen, zeitweise aber auch zu müssen. Um einen zukünftigen und visionären Gedanken andeuten zu können, nehme ich manchmal bewusst Beispiele aus der Vergangenheit, ja wenn nicht gar archetypischer Kontexte, um die Vorstellungskraft des Beschauers zu trainieren. Das ist sehr schwierig bei einem stetig unsensibler werdenen Publikum ohne Vorstellungskraft und ohne dazugehöriger Feinstofflichkeit.
DT:
Wie lässt sich, Deiner Meinung nach, persönliche Motivation bei einem so überparfümierten Zeitgeist überhaupt noch finden?

OT: Wenn Du in den Himmel schaust ziehen möglicherweise einige Wolken vorbei. Glaub mir, keine Wolke davon ist gleich wie die andere und so ähnlich sehe ich dieses Fakt auch in kreativen und persönlichen Gestalten. Nur die individuelle Einzigartigkeit garantiert uns auch die Wertschöpfung für die Zukunft. Die wirklich großen visuellen Beiträge sind in Realität doch erst zu machen. Alle Kopien der Kopien dienen in Wirklichkeit doch nur als Selbstbestätigung.
DT:
Oliviero Toscani Studio sehe ich persönlich als eine Qualitätsoffensive für all jene Gestalter, die ihren Job einfach ernst nehmen. Wo siehst Du den Unterschied zu anderen großen Schmieden?

OT: Unser Engagement ist klar im sozial politischen Bereich definiert. Den Unterschied stellen wir selbst als Team dar. Es interessiert mich relativ was andere große Schmieden machen, wenn ich meine Möglichkeit des Ausdrucks und der persönlichen Vision im visuellen Einsatz selbst verwirklichen kann. Meine persönliche Haltung und meine Art und Wiese die Dinge zu sehen, ist mein Beitrag. Nicht mehr und nicht weniger.
DT:
Was machen Werber trotz gelben Designallüren immer noch nicht? — Ich meine warum reden die wie Götter, wenn Sie doch eigentlich nur ihre Potenz am Markt wissen wollen? — Welches Tuch sollte man da reichen? 
OT: Die Frage scheint kompliziert. All Jene die zu kompliziert reden, haben meistens nicht so viel zu sagen, wie sie selbst glauben. Meistens haben die anderen, die ihre Ideen klar und deutlich für sich gefasst haben, im Gegensatz dazu, wirklich was zu sagen.
DT:
Manchmal habe ich das Gefühl Humor als wertvoller Botenstoff vergilbt auf den Straßen. Wie siehst Du persönlich diese essentiell humane Kante der Vermittlung von Überschüssigem?

OT: Das klingt nach einer typischen Werberfrage. Ich sehe mich nicht im geringsten als Werber. Ich halte Werber für mental unterentwickelt, ja um es noch zu präzisieren, für kulturelle und geistige Nachzügler. — Allerdings je mehr sie von alle dem sind, desto mehr werden sie vom Publikum, d.h. der Masse gehört.
DT:
Das Undankbare am Gestalten ist doch immer das Gefühl Erfolg aufgedrückt zu bekommen. Natürlich kann man den Markt nicht ignorieren, aber wie würdest Du die Zusammenarbeit von Unternehmen und »visuellen Ingenieuren« wirklich nachhaltig verbessern wollen?

OT: Also, wann immer ein Unternehmen die Notwendigkeit sieht Kommunikation zu machen, sollte es sich gut und ausführlich damit auseinandersetzen, wie es was und wann zu sagen hat. Ein Unternehmen sollte sich, wie ein Häuslbauer, seinen für sich richtigen Architekten suchen. Allerdings sollten Unternehmen schon langsam anfangen ihre Ingenieure nach kulturellen und geistigen Aspekten auszuwählen. Eine Werbeagentur, welcher Größe auch immer, hat vorwiegend Interesse am zu verwaltenden Budget. Alle Rührseligkeit um ihr soziales und kulturelles Engagement können die sich abschminken. Mehr Mut, wäre ein Lösungsansatz um den Charakter von visuellen Erscheinungsbildern wirklich etwas themengerechter zu fahren.
DT:
Cosa ne pensi?

OT: Ich denke nicht darüber nach, sondern bin beim nächsten Thema.
Vielen Dank für das Gespräch.
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© Dieter Telfser für Oliviero Toscani

Dieses Interview wurde telefonisch am 22.09.2005 mit Oliviero Toscani geführt.
Beitrag verfügbar in Italienischer Sprache. Versione Italiana.